Wer zuletzt lacht, lebt noch.
Wer zuletzt lacht, lebt noch. Ein Berlin Krimi. Mitteldeutscher Verlag
Wer zuletzt lacht, lebt noch. Ein Berlin Krimi. Mitteldeutscher Verlag
von Petra A. Bauer
Mitteldeutscher Verlag, 2006
€ 9.90
ISBN: 3-898123-55-3
Robina Bernhardt von der Mordkommission traut ihren Augen nicht, als sie zum Tatort in der Berliner Nikolaikirche gerufen wird: In der Blutlache neben dem Toten hat jemand einen riesigen Smiley gezeichnet.
Kurz darauf gibt es einen zweiten Smiley-Mord…
Ein Krimi im Ostteil Berlins vor der Kulisse einer Filmproduktion mit einer liebenswert-frechen Ermittlerin.
Hier geht es zu Leserstimmen und Leseprobe:
LESERSTIMMEN
* Leservideo zum Krimi (17. September 2008)
* Rezension bei der Krimikiste als Podcast (30. Juni 2008)
* Leser-Blogposting zum Krimi (2. Oktober 2008)
"Ich muss Dir danken! Dein Tatort Ost ist das erste Buch, das ich seit Monaten endlich mal ruckzuck durchgelesen habe! Eigentlich war ich nie der Krimifan, aber das hat sich wohl geändert. Das Buch war klasse!" S. Weber, Niedernhausen (01.10.2008)
“Ich habe das Buch in 2 Tagen ausgelesen. Es hat mir sehr gut gefallen. Ich warte auf den nächsten Teil; Robina ist mir so ans Herz gewachsen.” B.Weidner, Hohenlockstedt “Empfehlenswerte Unterhaltung, auch für Nicht-Berliner. Alles in allem ein sehr schönes Buch, gute Unterhaltung zum entspannt Grübeln.” P.Möller, Würzburg
“Wann erscheint die Fortsetzung?
Ich habe am Sonntag die ersten 100 Seiten Deines Krimis gelesen und von Mo bis Mi den Rest. Die Charaktere sind sehr originell. Am Liebsten würde ich nun weitere Geschichten um Robina und ihre Kollegen lesen. Schade, dass es noch kein weiteres Buch über sie gibt. Ich könnte mir den Roman auch sehr gut als deutsche Fernsehverfilmung vorstellen. Ganz ehrlich, ich hoffe, dass Robina eine Fortsetzung findet (Hinweis an den Verlag). Den ersten Käufer hättest Du schon.” Sandra Henke
***
LESEPROBE
Prolog
I’ll meet you at midnight
Er hatte nicht bedacht, dass die Tür quietschen könnte, und nun war es zu spät. Bestimmt hatte er die halbe Stadt aufgeweckt. Reglos blieb er stehen und lauschte in die Finsternis des Gotteshauses. Aber das einzige Geräusch, das er vernahm, war das Rauschen des Blutes in seinen Ohren, gedämpft vom Wollstoff der Motorradmaske. Immerhin war die Tür jetzt offen.
Er zog den schweren, schmiedeisernen Schlüssel ab und wog ihn in der Hand. Um ihn zu erlangen, hatte er einiges auf sich genommen, denn dessen Hüterin war dick, schwitzend und faltig gewesen. Ein Kompliment über ihr Aussehen hatte sich da von selbst verboten. Ob sie Singen schätze, hatte er sie gefragt – und es wenige Sekunden darauf bitterlich bereut.
Ohne Vorwarnung hatte sie Lobet den Herrn angestimmt, nach »lasset den Lobgesang hören« übergangslos von ihrem Kirchenchor zu schwärmen begonnen und sein Atheistenherz auf eine harte Probe gestellt. Tapfer hatte er sich über den Tisch mit den Kirchenprospekten zu ihr herübergebeugt. Während er litt, war die Dame geschmeichelt, hatte leicht errötend Luft geholt und sogleich mit geschlossenen Augen weitergesungen. Als sie dann ohne jeden Übergang zu Fest soll mein Taufbund immer stehen umschwenkte, hätte er beinahe seine Fassung verloren. Aber nur beinahe. Stattdessen hatte er die Chance genutzt und nach dem Schlüssel zwischen den Hochglanzfaltblättern Rund um die Nikolaikirche gegriffen. Ohne das geringste Geräusch war dieser in seine Jackentasche geglitten.
Der Rest war leicht gewesen, der alte Trick, hundertfach erprobt: dringendes Bedürfnis, Mitarbeitertoilette, Gipsabdruck, Gefrierbeutel, Jackentasche. Beim Händewaschen hatte er zufrieden die den Sitz des graumelierten Toupets und der Brille überprüft, war zufrieden wieder in den Vorraum getreten, hatte pflichtbewusst beim Suchen geholfen, den Schlüssel zufällig gefunden und sich dem Angebot der singenden Matrone für ein Dankesessen so schnell und unauffällig wie möglich entzogen. Er musste jetzt noch bei der Erinnerung grinsen. Er hatte die Sache wirklich ziemlich professionell gemeistert. Zufrieden ließ er das Schlüsselduplikat in die Tasche gleiten und ließ die Tür einen Spalt breit offen, damit sie nicht noch einmal quietschte.
Eine Kirche bei Nacht war ziemlich dunkel und ein wenig unheimlich, wie er sich eingestehen musste. Jeder seiner Schritte hallte von den weit entfernten Wänden wider, so dass er unwillkürlich auf Zehenspitzen weiterschlich. Zum Glück hatte er sich gut vorbereitet und wusste genau, nach wie vielen Schritten er abbiegen musste, um genug Deckung zu haben und trotz allem die Tür im Auge behalten zu können. Eine Wolke gab den abnehmenden Mond frei, der durch eines der gotischen Fenster schien und gespenstische Schatten warf. Kurz darauf war es wieder dunkel. Er sah nach unten, um den seitlichen Knopf seiner Armbanduhr zu drücken. Das grünliche Licht der Uhr blendete ihn: Viertel vor zwei.
So gruselig es war – der Ort war gut gewählt. Hier würde niemand darauf kommen, dass er dahinter steckte. Er, der bekennende Atheist.
Quälend langsam vergingen die Sekunden – nichts geschah. Seine Ohren erschienen ihm zu klein, um die vollkommene Stille in sich aufzunehmen. Er musste daran denken, wie er als Kind zum ersten Mal in den Keller geschickt worden war, um Kohlen heraufzuholen. Die Glühbirne im Flur war kaputt und draußen war es ebenfalls dunkel gewesen, so dass auch die kleinen Kellerfenster kein Licht hereingelassen hatten. Die Batterien der elterlichen Taschenlampe waren leer gewesen, und eine Kerze hatte die Mutter ihm nicht geben wollen. Mit über den Boden schleifenden Sandalen hatte er sich Schritt für Schritt vorwärts getastet, eine Hand an der unverputzten Kellerwand. Als etwas über seine Finger huschte, war er mit pochendem Herzen stehen geblieben. Da hatte er sie zum ersten Mal gehört, die Stille, die zu groß für seine Ohren war.
Noch einmal ließ er die Armbanduhr aufleuchten: ein Uhr neunundvierzig.
Der Angriff kam völlig unerwartet. Kräftige Hände schlossen sich um seine Gurgel und schüttelten ihn.
Die Uhr, ich Idiot, dachte er und versuchte den Griff seines Angreifers zu lockern. Ohne Erfolg. »Das Geld«, japste er dann, so gut er mit der fehlenden Luft noch konnte. »Ich will nur das Geld, dann verschwinde ich!«
Sein Gejammer verhallte. Anstelle einer Antwort wurde er rückwärts geschoben und konnte nichts dagegen tun.
»Leute wie Sie geben niemals Ruhe«, zischte der Angreifer schließlich. »Zeigen Sie mir Ihr Gesicht!«
»Niemals!«, krächzte er. Und das war die Wahrheit. Wenn der andere sein Gesicht sehen würde, wäre alles umsonst gewesen. Er hätte ihn sofort erkannt.
Sein Widersacher versuchte, ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Dabei kamen beide ins Straucheln. Er fiel nach hinten, der andere mit voller Wucht auf ihn.
Er starb im selben Moment, als die Spitze des eisernen Gitters von hinten sein Herz durchbohrte. So merkte er nicht mehr, dass sein Gegner ihm die Maske vom Gesicht zog und dabei erstarrte. Er sah nicht den Moment des Überlegens, nicht, wie der andere sich bückte, ein Tempotaschentuch um den rechten Zeigefinger wickelte und mit dem Blut etwas neben sein Opfer auf den Boden zeichnete.
Dann wandte der Fremde sich ab, ging fort und ließ die große Stille zurück.
Erstes Kapitel
Don’t worry – be happy
Die Ollys traten immer von rechts auf. Schwarz waren sie, sehr schön und hatten fantastische Stimmen. Und sie mischten sich in alles ein. Neu war lediglich, dass Molly, Polly und Dolly in ihren silberfarbenen Etuikleidern auch schon auftauchten, wenn Robina Bernhardt noch schlief.
»Wake up, little Susie, wake up«, sangen sie.
»Ich heiß nich’ Susi. Lassmiinruhe«, murmelte Robina, aber die Ollys hörten nicht auf.
»The movie’s over, it’s four o’clock and we’re in trouble deep. Wake up, little Susie, wake up, little Susie …«
»Ja, schon gut, schon gut.«
Stöhnend setzte Robina sich auf und tapste unbeholfen in die Küche. Jetzt brauchte sie dringend einen Latte Macchiato.
Sie nannte das Zeug augenzwinkernd ihre »Morgenlatte«. Das war ihr Beitrag zur Gleichberechtigung. Nicht zuletzt würde sie ohne einen kräftigen Koffeinschub unter der Dusche erbärmlich ertrinken.
Zum Glück fand sie ihre Espressomaschine jeden Morgen auch mit geschlossenen Augen, und dieses Luxusgerät konnte einen »Latte« auf Knopfdruck zaubern. Komplexere Aktion konnte man von Robina im Halbschlaf auch nicht erwarten. Liebevoll streichelte sie über das Edelstahlgehäuse, das schön kühl blieb, obwohl in diesem Moment das heiße Gebräu in ihren Kaffeepott plätscherte. Die Maschine hatte Sven ihr vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt, als der Himmel noch voller Geigen hing. Später hatten die Geigen einige Misstöne produziert und waren dann dem dumpfen Tubaklang des Alltags gewichen.
Wie soll es nur mit uns weitergehen, dachte Robina. Ihre Gedanken wanderten zum gestrigen Nachmittag, als Sven wieder im Kontrollfragemodus angelangt war: Wo warst du? Wieso kommst du erst jetzt? Ich hatte mich so gefreut, dass ich früher mit den Klausuren fertig war, und du hast mir nicht mal Bescheid gesagt, dass du weggehst. Dein Handy hast du auch hier liegen lassen!
Das alles, ohne ihr die Chance zu geben, etwas zu erwidern. Er hatte Ratatouille gekocht. Das Essen war dann sehr schweigsam verlaufen. Die Luft um sie herum hatte vibriert von unterdrückter Wut. Die Teller waren halbvoll geblieben.
Kontrolle, Vorwürfe, Bevormundung. Das hatte sie bereits bei ihren Eltern die Wände hochgetrieben, aber bei Sven ertrug sie es noch weniger. Obwohl es oft schön war mit ihnen, obwohl sie Sven mochte, ertappte sie sich in letzter Zeit immer häufiger bei dem Gedanken, alles, was sie verband, in Frage zu stellen. »Manche Dinge passen einfach nicht zusammen«, hatte ihre Mutter immer gesagt. Vielleicht, dachte Robina trotzig, hat sie ja Recht. Vielleicht passt ein Oberlehrer einfach nicht zu mir.
Entschlossen drehte sie den Duschhahn zu. Im selben Moment hörte sie das Telefon klingeln. Sie schnappte sich ein Handtuch und tropfte hastig durch den Flur. Die letzten Meter schlidderte sie zu dem uralten, schwarzen Apparat mit Wählscheibe und verlor dabei fast das Gleichgewicht, als sie den Hörer von der Gabel riss.
»Eine Leiche pünktlich zum Bereitschaftsbeginn, meine Liebe «, seufzte Horst Brömmelberg, der Leiter der Mordkommission, in Robinas Ohr. Ihr Chef wirkte immer, als trüge er einen schweren Sack auf den Schultern, in dem die Verantwortung für das Morddezernat, für seine zerrüttete Ehe und die Schwierigkeiten seiner Kinder steckte. Dann ratterte er die wichtigsten Fakten herunter: »Männlich, auf ein Gitter gespießt, Tod muss irgendwann nach achtzehn Uhr gestern Abend eingetreten sein.«
Robina nickte, doch dann fiel ihr etwas ein:
»Mein Auto ist in der Werkstatt.«
»Kaufen Sie sich doch endlich mal ein neues«, grunzte Brömmelberg, der in Autos nur ein Transportmittel sah. »Ich schicke Ihnen Schultze-Diepersdorf vorbei. Zehn Minuten.«
Robina warf den Hörer auf den Apparat zurück. Zehn Minuten! Und ausgerechnet der Neue! Trotz Dusche war sie noch nicht mal richtig wach. Sie brauchte noch eine »Morgenlatte«, daran führte kein Weg vorbei. Während die Espressomaschine zum zweiten Mal an diesem Morgen ihre Arbeit tat, zog sie ihr Kurzschminkprogramm durch. Ohne Lidstrich und Wimperntusche würde sie das Haus nur verlassen, wenn sie selbst die Leiche wäre, hatte sie sich mal geschworen.
Sie verbrannte sich den Mund, als sie rasch den Kaffee hinunterstürzen wollte, während sie mit einer Hand ihren Slip anzog. Dann hüpfte sie durch das Schlafzimmer. Sie schaffte es gerade so die Balance zu halten, während sie erst die rechte, dann die linke Socke anzog. Das hellblaue T-Shirt, das sie aus dem Schrank zog, war ungebügelt, und auf der Vorderseite prangte eine große Mickymaus, aber darauf konnte sie in dieser Situation keine Rücksicht nehmen. Kaum dass sie es übergestreift hatte, klingelte es auch schon.
»Sofort!«, brüllte sie in die Gegensprechanlage, ohne abzuwarten, dass sich jemand meldete. Rasch noch Jeans, Lederjacke und Turnschuhe an und mit nassen Haaren raus. Als sie unten die Haustür aufriss, fiel Schultze-Diepersdorf, der sich dort angelehnt hatte, fast in den Flur.
»Erst zerbrüllen Sie mir das Ohr, dann bringen Sie mich zu Fall. Was für eine nette Begrüßung!«, schnarrte er, rückte seine Intellektuellenbrille zurecht und entfernte imaginäre Stäubchen von seinem hellen Anzug. Anstelle einer Antwort rief Robina: »Mensch, meine Dienstwaffel!«, und raste die Treppe wieder hinauf.
Schultze-Diepersdorf hatte sich inzwischen ins Auto gesetzt. Robina riss die Tür auf und ließ sich neben ihn plumpsen.
»Habe ich richtig gehört? Haben Sie soeben Dienstwaffel gesagt?«
»Ja, das klingt harmloser. Waffeln sind lecker und garantiert nicht tödlich. Ich benutze das Ding nicht sehr gerne.«
»Wer tut das schon? Aber sich einen Kosenamen dafür auszudenken, ist wohl typisch weiblich!«, stellte Schultze-Diepersdorf in einem Ton fest, der genau verriet, was er davon hielt.
»Hören Sie mal, Schultze mit tz«, sagte Robina, während sie sich anschnallte. »Für Metadiskussionen ist es eindeutig zu früh. Sagen Sie mir lieber, was uns erwartet.«
Schultze-Diepersdorf war frisch gebackener Ermittler und erst seit zwei Wochen im Morddezernat. An den lockeren Ton hatte er sich noch nicht gewöhnt, aber das würde er müssen. In der Mordkommission musste man sich vieles schönlachen. Er würde noch früh genug dahinter kommen.
Als sie am Nikolaiviertel angelangt waren, lenkte Schultze-Diepersdorf den Wagen durch den Fußgängerbereich. Wohlig rekelte Robina sich in den Polstern, starrte sinnierend aus dem Fenster des Wagens und dachte an gestern zurück: Ostermontag. Sven war bis zum Nachmittag mit einem Berg Geschichtsklausuren beschäftigt gewesen, und Robina hatte das wunderschöne Wetter genutzt, um von ihrer Wohnung in der Kastanienallee zum Nikolaiviertel zu spazieren. Berlin im Winter war für sie wie der Blick in einen Teereimer, und Frühlingssonnenstrahlen waren ein Genuss. Ihr Streifzug hatte sie auch zur Nikolaikirche geführt, und da sie nichts Besseres zu tun hatte, war sie einfach hineingegangen.
Vor eben jener Kirche hielt Schultze-Diepersdorf nun, schaltete den Motor aus und riss Robina aus ihren Gedanken.
»Was denn, hier?«, platzte sie heraus.
»Wieso? Ist Ihnen der Tatort nicht genehm?« Schultze-Diepersdorf wirkte irritiert.
»Nein, Unsinn. Aber diese Kirche steht bereits seit 1230 hier. Ich wohne gar nicht weit entfernt, und trotzdem war ich gestern bei meinem Osterspaziergang zum ersten Mal drin. Dass ich heute schon wieder hier bin, .nde ich nur merkwürdig, sonst nichts.«
»Das hier wird sicher kein Spaziergang«, belehrte er sie überflüssigerweise, atmete tief durch, stieg aus und über das rot-weiße Plastikband. Ein eifriger Polizeibeamter in grünbeigefarbener Uniform wollte ihn aufhalten.
»Lass mal, Hübi. Der ist neu bei uns. Das Gesicht wirst du dir merken müssen«, grinste Robina den Beamten an und betrat mit Schultze-Diepersdorf die Kirche, die um diese Zeit normalerweise geschlossen war. Die Leute von der Spurensicherung waren schon eingetroffen und wuselten in weißen Ganzkörperkondomen herum. Robina erinnerten sie immer an die Spermien aus dem Woody-Allen-Film Was sie schon immer über Sex wissen wollten.
»Johannes Heinrich Baurmeister«, murmelte Robina, als sie sich dem abgesperrten Tatort näherten.
»Sie kennen die Leiche?« Jetzt wirkte Schultze-Diepersdorf misstrauisch. »Man kann sie von hier doch nicht mal richtig erkennen!«
Robina verdrehte die Augen. »Das Grabdenkmal, Schultze. Der Tote ist auf das Gitter des Baurmeister-Grabdenkmals gespießt. Ich war doch gestern erst hier.«
Sie dachte an die blonde Frau, die das Gitter fotografiert hatte. Für ein Setting, wie sie ihren Kindern erklärt hatte. Oder hatte die Fremde am Ende einen Mord geplant? Konnte das möglich sein? Robina schüttelte den Kopf, verfolgte den Gedanken aber dennoch kurz weiter. Sie hatte mit den Jahren gelernt, dass man jeder Spur nachgehen musste. Alles konnte von Interesse sein, jeder noch so winzige Hinweis.
Die Fotografin war ihr bereits am Neptunbrunnen aufgefallen. Von allen Seiten hatte sie den Brunnen auf dem Alex geknipst und Robinas Blick so auf einige Details gelenkt, die ihr zuvor noch niemals aufgefallen waren. Den steinernen Knaben etwa, der nackig zwischen Neptuns Füßen saß, den Oberkörper ängstlich nach hinten gedrückt, voller Angst vor einem steinernen Krokodil und mit einem entzückenden »Schippchen«.
Auf dem Weg am Roten Rathaus vorbei in Richtung Nikolaiviertel hatte sie die Fremde dann wieder aus den Augen verloren, sie aber in der Kirche getroffen. Die Ankündigung einer Ausstellung des Malers Wolfgang Peuker hatte sie ihre Schritte in die Nikolaikirche lenken lassen. Ihr Geschmack war Peuker nicht – bis auf seine Darstellungen des Reichstagsgebäudes.
Die blonde Frau, noch immer mit Familie im Schlepptau, hatte sich nahezu gar nicht für die Ausstellung interessiert, sich vielmehr umgesehen, als würde sie etwas suchen. Schließlich war sie vor dem Baurmeister-Grabdenkmal rechts neben dem Eingang stehen geblieben, hatte Denkmal und schmiedeeisernes Gitter davor fotografiert und anschließend die Daten der Gedenktafel in ein Notizbuch eingetragen. Und auf genau diesen schmiedeeisernen Stäben lag nun der Tote.
Langsam näherte sich Robina dem Tatort und dem Leichnam. Der Tote lag mit dem Rücken über dem Geländer, das ihn durchbohrt hatte, der Kopf hing weit nach hinten über, so dass man aus dieser Position das Gesicht nicht erkennen konnte. Unter ihm war eine Blutlache und in die Blutlache hinein hatte jemand einen Smiley gemalt.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, stotterte Schultze-Diepersdorf, dessen Gesichtsfarbe sich den weißen Kirchenwänden angepasst hatte. »Haben Sie das hier schon fotografiert?«, fragte er einen der weißen Spermien und zeigte auf das Grinsegesicht auf dem Fußboden. Der Mann von der Spurensicherung warf ihm einen vernichtenden Blick zu und ging weiter.
Robina lächelte ihrem konsternierten Kollegen aufmunternd zu: »Alles okay, Schultze?«
»Diepersdorf. Schultze-Diepersdorf. Geht schon wieder. Ich kann bloß kein Blut sehen.«
»Na, dann sind Sie ja genau richtig bei der Mordkommission.«
Um nicht laut loszulachen, widmete sich Robina wieder dem Tatort.
Die Scheinwerfer der Spurensicherung tauchten die Gedenktafel hinter der Leiche in gleißendes Licht:
Johannes Heinrich Baurmeister (Kauf- und Handelsmann)
* 12.3.1672 † 20.4.1732 und Euphrosine, geb.
Meyer * 14.2.1672, vor 1772 gestorben.
Darunter präsentierten zwei gelangweilt dreinblickende Puttenengelchen je ein Wappen. Auf dem rechten Wappen war ein Landarbeiter mit Sense abgebildet. Wie passend.
Robina umrundete die Absperrung. Nun konnte sie das Gesicht des Toten erkennen – und wollte nicht glauben, was sie da sah.
»Ist der Tote … ist er schon identifiziert worden?«, fragte sie einen Kollegen von der Spurensicherung.
»Kennen Sie den nicht? Das ist doch dieser Schauspieler. Christoph Bruckner.«
»Klar kenne ich den. Ich habe nur gehofft, ich hätte mich geirrt.« Desillusioniert schlurfte sie zu Schultze-Diepersdorf zurück, der noch immer um Fassung rang.
»Das war mein Lieblingsschauspieler«, sagte sie. »Christoph Bruckner.«
Schultze-Diepersdorf schien nur mäßig beeindruckt: »Ach der. Hat der nicht in Förster ohne Revier mitgespielt?«
Robina grunzte: »So was würde ich mir nie im Leben ansehen! Nein, er hat zum Beispiel Gelernt ist gelernt gemacht. Auch den einen oder anderen Tatort. Und dann hatte er eine größere Rolle in dieser Serie – wie hieß die gleich? Ach ja, Spreepolizei. Schauen Sie sich ihn halt an. Aber latschen Sie die Spuren nicht kaputt.«
Robina seufzte. Sie hatte Bruckner nicht nur als Schauspieler geschätzt, sie hatte ihn auch persönlich gekannt. Oder zumindest so etwas in der Art von »persönlich«. Bruckner hatte sie vor Jahren versehentlich auf der Friedrichstraße umgerannt, sich hinterher zigmal erkundigt, ob ihr auch nichts passiert sei und sie dann kurz entschlossen ins »Kulturkaufhaus Dussmann« auf einen Kaffee eingeladen. Dort hatte er ihr ein ganz entzückendes Autogramm geschrieben. Sie hatte ihn sogar noch einmal bei der Preview eines Kinofilms getroffen, und er hatte sich tatsächlich an sie erinnert. Und nun lag er aufgespießt vor ihr.
Zögernd ging Schultze-Diepersdorf ebenfalls um die Absperrung herum, riskierte eine Zehntelsekunde lang einen Blick auf Bruckner und trat den Rückzug an.
Wieso haben sie die Pfeife ausgerechnet mir zugeteilt, dachte Robina. Seufzend wandte sie sich einem Polizeibeamten zu: »Wer hat den Toten eigentlich gefunden?«
»Eine der Putzfrauen. Sie sitzt da vorne.«
»Ich gehe gleich zu ihr. Weiß man schon, was dieser Smiley zu bedeuten hat?«
»Mit Verlaub, ich denke, das ist Ihr Job«, sagte der Polizist bestimmt, aber freundlich.
»Es hätte ja nur sein können, dass jemand eine Idee dazu hatte. Oder etwas gefunden hat, das uns weiterhilft. Ich brauche Infos.« Robina riss die Hände in einer dramatischen Geste in die Luft. »Cretino!«, grunzte sie und hoffte, dass der Beamte kein Italienisch verstand.
Die Spurensicherung hatte auch keine Vorstellung davon, was es mit dem Smiley auf sich haben könnte, also schnappte Robina sich Schultze-Diepersdorf und ging durch die Stellwände der Peuker-Ausstellung hindurch auf die Kirchenbank zu, auf der die Putzfrau saß.
»Guten Tag, mein Name ist Robina Bernhardt von der Mordkommission.« Mit einem möglichst gewinnenden Lächeln hielt sie der verstörten Putzfrau ihren roten Dienstausweis vor die Nase. »Das ist mein Kollege Schultze. Wir haben ein paar Fragen an Sie.«
»Schultze-Diepersdorf.«
»Bitte?« Robina drehte sich irritiert zu ihm um.
»Mein Name ist Schultze-Diepersdorf. So viel Zeit muss sein. Vor allem, wenn wir jemanden verhören.«
Als wäre ihm klar geworden, dass er sich zu weit vorgewagt hatte, rückte er die Brille mehrmals auf seiner Nase hin und her.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Schultze.« Robina dehnte den Namen und baute sich vor ihm auf, was für unbeteiligte Beobachter lustig aussehen musste, weil sie kleiner war als er. »Wir verhören hier niemanden, wir befragen. Und ich lass mich im Dienst von niemandem belehren, ist das klar?«
Robinas Geduld war am Ende. Und das, wo sie noch nicht einmal seit einer Stunde einen Fall gemeinsam bearbeiteten. Das konnte ja heiter werden, dachte sie und wandte sich wieder der Putzfrau zu.
»Also, Sie haben den Toten gefunden. Wann war das?«
»Muss gewese sein kurz nach finf. Schicht fängt an um finf Uhr finfzehn, aber ich hab Schlissel, bin immer frieher da.«
»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Tier war offen. Nicht abgeslossen. Das war noch nie. Bin rein, hab gerufen hallo, aber kein Antwort. Dann ich Licht anmachen und sehen Mann auf Gitter. Leberall Blutt!« Die Frau schlug die Hände vor das Gesicht, und Robina legte ihr die Hand auf die Schulter. »Beruhigen Sie sich. Das wäre für jeden ein Schreck.«
»Ja, Schreck, große Schreck! Und wer kann töten Mann und malen lustige Gesicht in Blutt?«
»Das wüssten wir auch gerne.« Robina streichelte noch einmal über die Schulter der Frau und blickte missmutig auf Schultze-Diepersdorf, der wie eine Salzsäule neben ihr stand.
»Für welche Firma putzen Sie doch gleich?« Robina war sich nicht sicher, ob sie die Frage schon gestellt hatte.
»Firma heißt ›Sauberwisch‹. Ulkige Name aber nette Chef. Wir sind zu dritt hier in Kirche, aber andere beide Fraue krank. Komme morgen wieder oder iebermorgen. Muss ich schaffen Arbeit allein bis dahin.«
»Geht das denn?«
»Ist viel, dauert lange, aber ist in Ordnung.«
»Wissen Sie, wer noch einen Schlüssel für diese Tür hat?« Robina deutete den Gang hinunter zum Eingang.
»Nein, weiß nicht. Ich habbe Schlissel von Chef. Chef sehr nett. Weiß, dass ich gut umgehe mit Schlissel.«
»Danke. Mein Kollege wird noch Ihre Personalien aufnehmen. Damit wir uns bei Ihnen melden können, wenn wir noch eine Frage haben. Und falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an.« Sie reichte der Frau ihre Karte. »Auch wenn es Ihnen nicht wichtig vorkommt«, setzte sie hinzu.
Sie ließ die beiden stehen, ging zurück zum Tatort und hockte sich vor die Blutlache, neben der sie der Smiley angrinste.
»Was willst du uns sagen?«, murmelte sie leise. »Was geht in einem Menschen vor, der einen Mann umbringt und dann ein Grinsegesicht ins Blut malt? Das ist doch völlig krank. Peng, du bist tot, haha.«
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